Heute in acht Tagen

Das Heute-in-acht-Tagen-Problem,
ein uralter Streit um die Null zwischen
römischer und arabischer Kultur

Ein Satz, den man immer wieder hören kann: »Heute in acht Tagen treffen wir uns wieder!«. Und jeder weiß, was damit gemeint ist. Der vermeintliche Rechenfehler geht jedoch auf einen Jahrtausende alten Streit zwischen zwei sehr unterschiedlichen Machtblöcken zurück: Den Römern und den Arabern.

Versetzen wir uns mal zum donnerstäglichen Stammtisch nach Marktleuthen: Der Herbert will so langsam gehen und sagt: »Also, bis heute in acht Tagen!«. Klar, er meint nächsten Donnerstag am gleichen Ort, zur gleichen Zeit. Da protestiert der Alwin: »So ein Blödsinn, von Donnerstag Abend bis nächsten Donnerstag Abend sind es sieben Tage, nicht acht!« Aber der Herbert zählt ihm vor:
Heute in acht Tagen

Das ist Quatsch, schimpft der Alwin. »Du musst erst mit Freitag anfangen zu zählen, wenn der erste Tag vollständig ist«:
Heute in sieben Tagen

Da meldet sich der Erwin: »Ihr könnt schon heute am Donnerstag anfangen, ihr müsst nur richtig zählen«:
Das Heute-in-acht-Tagen-Problem

Man sagt ja, Mathematik sei die exakteste Wissenschaft, aber hier kollidiert sie mit der Sprache, und die ist alles andere als exakt. Das »Heute in acht Tagen Problem« kann man verschieden angehen:

1. Heute, am Donnerstag ist ja nur der halbe Tag übrig und nächste Woche treffen wir uns wieder, wenn der halbe Tag schon vergangen ist. Also zwei mal der halbe Donnerstag plus 6 Tage dazwischen, ergibt 7! Die Leute runden die halben Tage einfach auf und so ergeben sich 8. Ist ja auch zu blöd, mit Bruchteilen von Tagen zu rechnen, um den nächsten Stammtisch auszumachen!

2. Oder die Leute sind einfach so blöd und rechnen den Donnerstag doppelt, wodurch sich wieder 8 ergibt, oder?

3. Die Römer und die Araber

Werfen wir mal einen Blick in die Geschichte: Ein Großteil unserer Kultur stammt von den alten Römern. Die römischen Zahlen kennen wir aber gerade mal von alten Ziffernblättern der Uhren. In der Schule haben wir gelernt, dass wir nach dem arabischen Zahlensystem rechnen. Aha, aber was hat das mit dem Marktleuthener Stammtisch zu tun, die Römer haben doch auch richtig gerechnet, oder?

Die Erfindung der Null

Wenn wir zum Beispiel Kartoffeln zählen, liegt es natürlich auf der Hand, die erste auch »eins« zu nennen, bei Zeiträumen ist das schon schwieriger. Dass Erwin im dritten Beispiel den Donnerstag doppelt benutzt und trotzdem zum richtigen Ergebnis kommt, hängt mit einer genialen Erfindung arabischer Rechenmeister zusammen, der Null !

Im römischen Zahlensystem gibt es die nämlich nicht. Das Symbol für diese Ziffer stammt aus dem indischen Raum, wo die Null als Symbol der Leerheit und des Nichts benutzt wurde. Auch im alten Babylon soll dieses Leerzeichen schon im 6. Jahrhundert vor Christus benutzt worden sein.

Als im 6. Jahrhundert nach Christus die Araber das Gebiet des ehemaligen Babylon eroberten, stießen sie auf dieses ominöse Zeichen, und um das Jahr 825 schrieb der persische Mathematiker, Astronom und Geograph al-Chwarizmi ein Werk über das Rechnen mit indischen Zahlzeichen, in dem die Null schon ganz selbstverständlich benutzt wird. Schon Adam Riese, der 1492 in  Staffelstein im Maintal geboren wurde, hat die Vorteile des damals neuen Zahlensystems erkannt und in Deutschland verbreitet, aber erst der Italiener Leonardo Fibonacci führte schließlich die »arabischen Zahlen mit den indischen Ziffern« im 12. Jahrhundert endgültig in Europa ein. Als der "indische Adam Riese" wird oft der Astronom und Mathematiker Brahmagupta bezeichnet, der im 7. Jahrhundert nach Christus das Rechnen mit der Null beschrieb. Addition, Subtraktion und Multiplikation, über 800 Jahre vor Adam Riese.

Die Lösung ist also ganz einfach: Der heutige Donnerstag ist, bezogen auf den Zeitraum bis zum nächsten Stammtisch, nicht der erste Tag, sondern der nullte! 7 Tage ist exakte Mathematik, 8 Tage gängiger römischer Sprachgebrauch, was soll's, Hauptsache, alle sind rechtzeitig wieder da.

Im 20. Jahrhundert wurde das Problem allerdings wieder aktuell, da alle Computer auf der Programmier-Ebene nicht mit Eins zu zählen beginnen, sondern mit Null. Will man zum Beispiel das erste Zeichen eines Textes erhalten, muss man also programmieren: »Zeig mir das nullte Zeichen«, etc. Nach einem langen Arbeitstag kann das zum sogenannten Off-by-one-Error (Um-Eins-daneben-Fehler) führen, bei Star-Wars-Fans auch scherzhaft Obi-Wan-Error genannt.
Da haben wir also die Lösung des Stammtisch-Problems:
Heute in acht Tagen ist ein Obi-Wan-Fehler !
Evtl. Übereinstimmungen mit den Namen reeller lebender Personen sind natürlich rein zufällig!

Man kann die Sache auch weiterspinnen (Null oder nicht Null, das ist die Frage!):
  • Ist Jesus nach unserem Kalender im Jahr 0 (Null) geboren oder im Jahr 1 (Eins)?
  • Gibt (gab) es überhaupt ein Jahr Null, oder folgte auf das Jahr 1 vor Christus das Jahr 1 nach Christus? Die Null war damals ja noch nicht bekannt.
  • Je nachdem, wie man sich entscheidet, gehört das Jahr 1000 noch zum ersten Jahrtausend und das 20. Jahrhundert endet erst mit dem Jahr 2000 und das erste Jahr des 21. Jahrhunderts ist das Jahr 2001.
  • Betrachtet man das erste Jahr von Jesu Geburt und Leben als das erste Jahr des ersten Jahrhunderts, also 1, was durchaus logisch ist, und soll ein Jahrhundert aus hundert Jahren bestehen, dann gehört das Jahr 100 noch zum ersten Jahrhundert, das zweite Jahrhundert würde am Beginn des Jahres 101 beginnen. Wir feiern aber den Beginn des neuen Jahrhunderts oder Jahrtausends immer bei der runden Zahl, also 2000 als Beginn des 21. Jahrhunderts. Nach dieser Rechnung eigentlich falsch, weil dann 2001 schon das zweite Jahr des 21. Jahrhunderts ist. Dass es nicht anders ist, liegt auch an der Magie der runden Zahlen, die traditionell zum Feiern einladen. Mit unserem ersten Geburtstag beginnt also unser zweites Lebensjahr! Mit Geburtstag meinen wir also Geburtsjubiläum.
Natürlich weiß ich, dass der Tag und sogar das Jahr von Jesu Geburt, bezogen auf unsere Zeitrechnung, nicht bekannt ist. Die Überlegungen sind also zwar theoretisch, aber die Forderung ist klar: Wir brauchen die Null! Dann passt's auch wieder mit der Jahrtausendwende am 1. Januar 2000, egal wann Jesus geboren ist.

Fibonacci

Der oben erwähnte Fibonacci heißt auch Leonardo da Pisa. Er unternahm weite Reisen, befasste sich ständig mit Mathematik und schrieb auch ein Rechenbuch. Bekannt ist er heute auch durch die Fibonacci-Reihe (Fibonacci-Folge). Sie entsteht ganz einfach dadurch, dass man Zahlen der Reihe nach mit einer einfachen Regel aufschreibt. In diesem Fall fängt man mit der Eins an oder auch mit der Null und einer Eins. Die folgende Zahl ergibt sich immer aus der Addition der beiden vorausgehenden, also 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34 … Das sieht ziemlich willkürlich und praktisch bedeutungslos aus. Fibonacci kam im Jahr 1202 auf dem Markt in  Pisa in der Toskana darauf, als er überlegte, wie sich ein Kaninchenpaar innerhalb einer bestimmten Zeitspanne vermehren kann, wenn sie das mit mathematischer Regelmäßigkeit tun.

Eine Besonderheit ist, dass, wenn man eine Zahl der Fibonacci-Folge durch ihren Vorgänger teilt, ungefähr der Faktor des Goldenen Schnitts herauskommt. Ich schreibe deshalb ungefähr, da sich der Goldene Schnitt nicht genau berechnen lässt. Der Faktor ist eine irrationale Zahl, ebenso wie die Zahl Pi. Bei Eins und Zwei ist das noch extrem grob, aber je größer die Zahlen der Reihe werden, die man verwendet, um so genauer nähert man sich dem Goldenen Schnitt an, erreicht ihn aber nie exakt, und die Fibonacci-Reihe lässt sich unendlich fortsetzen, sie ist eine divergente Folge. Hätte sie einen Abschluss oder Zielpunkt, hieße sie konvergent. Viele Maler bauten ab der Renaissance den Goldenen Schnitt in ihre Bilder ein, so zum Beispiel  Leonardo da Vinci. Auch in der Natur kommen die Fibonacci-Zahlen und der Goldene Schnitt häufig vor.

Javascript-Generator für Fibonacci-Zahlen

Das Wachstum ist exponentiell, das heißt, man kommt schnell in sehr große Zahlen, die dann als Zehnerpotenzen angezeigt werden. Das heißt 3.9284137646068717e+21 entspricht 3,9284137646068717 * 1021 usw.
Fibonacci Generator:


Redensarten und Späße mit der Null

Meine Mutter sagte manchmal zum Spaß: »10 Mark hobm oder niat hobm, senn scha 20 Mark!« (10 Mark haben oder nicht haben, sind schon 20 Mark!). Wo ist der Fehler? Natürlich wieder bei der Null: Zehn nicht haben sind nämlich nicht -10, sondern Null! Minus 10 wären nämlich 10 Mark Schulden, und die hat man ja nicht, nur weil man 10 nicht bekommen hat. Oder 10 Mark zahlen müssen, das muss man ja nicht.

Natürlich merkt man sofort, dass das nur ein Spaß ist, aber als Kinder mussten wir da schon ganz schön nachdenken.

Null Uhr

Früher gab es 10 Minuten nach Zwölf zwei mal am Tag, einmal beim Mittagessen und einmal zur Geisterstunde. Zu Mittag war es Zwölf und zu Mitternacht nochmal. Die Systematiker und Kategorisierer nennen es Zwei-mal-zwölf-Stunden-Zählung. Die Engländer unterscheiden es mit a.m. (ante meridiem, vormittags) und p.m. (post meridiem, nachmittags).

Auch vor Jahrhunderten gab es schon astronomische Uhren mit 24 Stunden, sie waren aber im Volk nicht gebräuchlich. "Dreiundzwanziguhrfünfundfünfzig" war den Menschen zu umständlich, "fünf vor zwölf" geht viel besser über die Lippen. Und mit Null Uhr Zehn konnte auch keiner was anfangen. Es gab auch 24-Stunden-Uhren die mit dem Zählen bei Sonnenuntergang anfingen, das waren dann Italienische Stunden oder Böhmische Stunden. Die Zählweise ab Sonnenuntergang spielt im Judentum und im Islam noch immer eine gewisse Rolle. Anders machten es die Griechen und Babylonier, sie fingen bei Sonnenaufgang an zu zählen.

In unserer technisierten Welt ist das anders: Wir haben uns daran gewöhnt, dass Mitternacht zwei verschiedene Namen hat: "Vierundzwanzig Uhr" und "Null Uhr", aber "Nachts um Zwölf" versteht auch noch jeder, also eigentlich drei verschiedene Namen für den Beginn der Geisterstunde! Und für die Globalisierung gibt es die Weltzeit. Früher hieß sie GMT (Greenwich Mean Time), da sie sich nach dem nullten Längengrad durch die Sternwarte von Greenwich in England richtet. Heute heißt sie UTC (koordinierte Weltzeit, universal time coordinated). Und der nullte Längengrad ist natürlich gleichzeitig auch der dreihundertsechzigste!

   
Bitte beachten Sie:
© 2018 by Erwin Purucker
Bücher über Denksport und Spiele
Bücher Elektronik, Foto
Musik-CDs DVDs, Blu-ray
Spielzeug Software
Freizeit, Sport Haus und Garten
Computerspiele Küchengeräte
Essen und Trinken Drogerie und Bad
Erwin's Bücherecke