Der Leichenfund
Im Sommer 2016 wurde schließlich in Rodacherbrunn in Thüringen ein Kinderskelett gefunden, und es stellte sich heraus, dass es sich um Peggy handelt. Ob der Fund 15 Jahre nach ihrem Tod noch neue Erkenntnisse über den Täter bringen kann, ist fraglich. Wir werden es erfahren. Wo sie 2016 beigesetzt wurde weiß ich ebenfalls nicht. Ich kann mir vorstellen, dass diese endgültige Todesnachricht auch eine Erleichterung sein kann. Zu wissen, dass sie seit vielen Jahren tot ist, erträgt man vielleicht leichter als die Ungewissheit, ob sie nicht immer noch irgendwo gefangen gehalten und gequält wird (
Thema Tod in meiner Bildergalerie). Fehlende Gliedmaßen erklärte man damit, dass Tiere diese ausgegraben und verschleppt hatten. Allerdings entstanden dadurch auch wilde Gerüchte, dass Peggy's Leiche zerstückelt wurde, um ein Sexualdelikt zu verschleiern, was ich für abwegig halte. Warum mehrere Löcher graben?
Eine weitere Sensationsmeldung geisterte am 13. Oktober 2016 durch die Medien: Am Fundort von Peggy's Leiche wären DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt gefunden worden, einem Mitglied des
Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), den man für eine Mordserie mit zehn Toten verantwortlich macht. Die Überraschung der Behörden war genau so groß wie die der Öffentlichkeit. Was dahinter steckt, war lange unklar. Ein Opferanwalt forderte plötzlich öffentlich Untersuchungen zu Kinderporno-Dateien, die auf einem Datenträger im Brandhaus des Trios Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gefunden wurden. Von einer Verbindung zwischen den beiden Kriminalfällen war vorher meines Wissens nie die Rede gewesen. Schließlich stellte sich heraus, dass die DNS Böhnhardts offenbar von Werkzeugen der Spurensicherung stammt, die nicht sachgemäß gereinigt wurden.
Bewegung kam wieder im Jahr 2018 in die Ermittlungen, als Mikrospuren vom Fundort der Leiche zu einem
Manuel S. führten, der inzwischen von Lichtenberg in den Landkreis
Wunsiedel im Fichtelgebirge gezogen war. Er soll schließlich zugegeben haben, die Leiche, oder zumindest die leblos wirkende Peggy, von einem Bekannten übernommen, nach Thüringen gebracht und dort bei Rodacherbrunn vergraben zu haben. Später widerrief er das Geständnis, das womöglich unter großem Vernehmungsdruck entstanden war. Hätte er tatsächlich nur die Leiche weggeschafft, wäre das Strafvereitelung, und die wäre längst verjährt. Nur Mord verjährt nicht.
Im Herbst 2020 wurden die Ermittlungen schließlich eingestellt. Zwingende Beweise scheint es nicht zu geben, sonst stünde längst jemand vor Gericht oder säße im Gefängnis. Sowohl Manuel S. als auch Ulvi K. haben deshalb als unschuldig zu gelten.
Die Unschuldsvermutung
Die Jahrhunderte alte Unschuldsvermutung ist bei uns ein hohes Rechtsgut und ein Menschenrecht
In
UNO - Erklärung der Menschenrechte, Artikel 11 Absatz 1, steht der Text:
Jeder, der wegen einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.
Im nahen
Kulmbach in Oberfranken finden wir einen Fall, der diese Bedeutung eindringlich vor Augen führt:
Dort wurde am 8. Januar 1993 die sechzehnjährige Melanie P. ermordet. Lange Zeit galt ein weiterer Besucher der Gaststätte in Kulmbachs Oberer Stadt als verdächtig aufgrund von Spuren an seiner Kleidung, die aber auch durch den Kontakt in der Kneipe erklärbar waren. Erst elf Jahre später konnte durch einen weiteren Mord seine Unschuld bewiesen und der wahre Täter verurteilt werden.
Doch das Leben des lange Jahre verdächtigten war in vielen Teilen zerstört, obwohl er nichts anderes gemacht hatte, als sich in einer Gaststätte aufzuhalten! Rechtsstaatlichkeit ist eben eine Sache, aber ein Gerücht oder auch nur eine Andeutung, einmal in die Welt gesetzt, bekommt ein Eigenleben, wird oft zur Legende, Fake News werden zu
Verschwörungstheorien.
Eigentlich ist die Unschuldsvermutung uralt. Schon im 3. Jahrhundert nach Christus formulierte ein
Jurist Paul den Grundsatz »Nicht der Beschuldigte muss seine Unschuld beweisen, sondern der Beschuldiger die Schuld des Angeklagten!«. Kaiser Antoninus Pius übernahm das ins römische Strafrecht. Im 6. Jahrhundert taucht die Unschuldsvermutung wieder in einem römischen Gesetzbuch, dem Justinianischen Kodex von Kaiser Justinian I. (482 - 565 in Konstantinopel) auf, aus dem viele unserer Rechtsgrundsätze stammen.
Über die Jahrhunderte wurde dieser Grundsatz immer wieder ignoriert, am krassesten von der Inquisition der katholischen Kirche im Mittelalter, die jeden Ketzer so lange folterte, bis er alles zugab, was man ihm in den Mund legte, und ihn dann verbrannte. Die Hexenprozesse der Neuzeit folgten der gleichen Arbeitsweise, durchgeführt allerdings von weltlichen Einrichtungen, aber gebilligt von der Kirche. Heute ist es die öffentliche Meinung, die vor einer Vorverurteilung nicht halt macht und durch Lügen verleumdete in die Verzweiflung treibt.
Die Medien
Zu allen Zeiten war das Medieninteresse am Fall Peggy sehr hoch. Da es über fast zwei Jahrzehnte immer wieder überraschende Wendungen gab, riss dieses auch nicht ab. Im Jahr 2020 drehte das ZDF eine sehr sachliche und detaillierte Zusammenfassung in sechs Teilen als True-Crime-Serie unter dem Titel
Höllental. Darin wird auch das Video gezeigt, in dem Ulvi K. den Tathergang nicht nur beschreibt, sondern bei einem Ortstermin ausführlich zeigt, wo Peggy hingefallen ist, wo er sie aufhob und ihr schließlich Mund und Nase zuhielt, bis sie sich nicht mehr rührte. Nachdem sogar zwei Gutachter bestätigten, dass die Schilderung der Ereignisse der Wahrheit entsprechen müssten und ihm auch ein sexueller Missbrauch nachgewiesen wurde, wundert es nicht, dass Ulvi auch verurteilt wurde.
Schaut man sich das Video allerdings heute an, unter ganz anderen Voraussetzungen, muss man feststellen, dass das, was er berichtet, doch sehr künstlich wirkt, fast wie auswendig gelernt. Spricht er doch nur Worte, die man ihm in den Mund gelegt hat? Aber warum? Hat ihm der wahre Mörder womöglich gedroht? Niemand weiß es!