Erdställe, Schratgänge,
Schratzellöcher

Oberfranken
Fotos und Informationen
Marktleuthen im Fichtelgebirge

Die alten Felsenkeller am Marktplatz und in der Kellergasse in Marktleuthen im Fichtelgebirge waren teilweise mit niedrigen unterirdischen Gängen verbunden. Heute sind sie größtenteils zugemauert oder durch Kanalbau und andere Baumaßnahmen zerstört. Wir haben mal zwei geöffnet und man sah, dass sie so niedrig sind, dass man nur im Entengang laufen kann.

Man findet solche niedrigen unterirdischen Gänge in vielen Gegenden, wo sie unterschiedliche Namen tragen: Erdstall, Schratzelloch und Schratgang. Sie konnten unterschiedlichen Zwecken dienen:
  1. Zur Wasserableitung
  2. Zur Wassersammlung
  3. Als Notausgang und Fluchtweg
  4. Als Zufluchtstätte und Versteck
  5. Für Kultische Zwecke
Die beiden ersten Möglichkeiten scheiden bei den von uns besuchten Gängen meiner Meinung nach aus. Zur Wasserableitung müssten die Gänge am tiefsten Punkt der Keller beginnen, was hier nicht der Fall war, und zur Wassersammlung wären hier die Lagerkeller voll Wasser gelaufen.

Keller beginnen meistens vom Eingang her einzustürzen, da dort durch den Temperaturunterschied der Kälte im Winter und der Wärme im Sommer das Gestein verwittert. Man konnte sicher beruhigter im Keller arbeiten, wenn man wusste, noch einen Notausgang zu haben. Auch als Fluchtweg vor Feinden oder vor Feuer machen die Verbindungsgänge zwischen den Kellern schon eher einen Sinn. Wenn man sich vor Feinden oder anderen Verfolgern in sie zurückzog, waren die kleinen und niedrigen Eingänge sicher auch leichter zu verbergen oder zu verteidigen, da eventuelle Angreifer in den engen Stollen ihre Waffen nur schlecht einsetzen konnten.

Immer wieder liest man, dass diese niedrigen Gänge auch kultischen Zwecken dienten. In manchen Gegenden findet man sie nicht nur als kurze Verbindungsgänge, sondern es wurden ganze  Labyrinthe aus diesen Stollen gebaut. Als Zufluchtsstätte vor Feinden wären die meisten untauglich gewesen, da sie Sackgassen waren, also keinen zweiten Ausgang hatten. Ein Angreifer hätte die Menschen in den Gängen leicht ausräuchern können. Teilweise fand man auch in den Fels gehauene Sitzgelegenheiten, Nischen für Lichter und noch engere Durchschlüpfe.
Erdställe, Schratzellöcher, Schratgänge
Nimmt man eine kultische Verwendung an, spielt es möglicherweise eine Rolle, dass die niedrigen und engen Gänge zu einer gewissen Demutshaltung zwingen. Die sauerstoffarme Luft und zusätzlich das behinderte Atmen im gebückten Gehen kann auch zu einer Art Rauschzustand führen, in dem mancher vielleicht Erleuchtungen erlebte. Zu allen Zeiten suchten Druiden, Schamenen und Priester abgelegene und sonderbare Orte auf. Sogar Jesus ging für vierzig Tage in die Wüste und traf dort nach  Markus, Kapitel 1, Vers 13 sogar den  Satan.

Möglicherweise dienten die Erdställe ohne zweiten Ausgang auch als Bußgefängnis für Kriminelle oder für Menschen, die meinten, durch eine Buße im Finstern Erlösung zu erlangen. Dass so mancher nach ein paar Stunden oder Tage in so einem Loch ein besserer Mensch wurde, kann ich mir gut vorstellen. Im Spielfilm Rapa Nui, Rebellion im Paradies wird eine Frau sechs Monde in eine Jungfrauenhöhle eingesperrt, weil sie sich in einen Mann einer anderen Rasse verliebt hatte.

Die Bezeichnung Schratgang würde sie als die Wohnstätte von Hausgeistern, Erdgeistern und Kobolden ausweisen. Ebenso wurde schon vermutet, dass sie eine Art Scheingräber oder symbolische Gräber waren, in denen sich die Seelen der Verstorbenen bis zum Jüngsten Gericht aufhalten konnten, sogenannte Seelenkammern.
Erdstall, Schratzlloch, Schratgang

Der Sinn vieler dieser geheimnisvollen unterirdischen Anlagen kann nur vermutet werden, aber egal zu welchem Zweck, das Graben dieser Erdställe, Schratzellöcher und Schratgänge war auch wegen der Enge sicher eine Tortur. Selbst ein kurzes Laufen in den niedrigen Gängen, das meist nur im Entengang möglich ist, führt dazu, dass einem die Beine wehtun. In alten Sagen und Märchen wie Schneewittchen sind es deshalb immer Zwerge, die die Stollen in die Berge treiben. Aber so viele Zwerge gibt es doch gar nicht! Die Lösung ist einfach: Das Graben dieser unterirdischen Gänge war oft Kinderarbeit! Und wer ab einem Alter von zehn Jahren unterirdische Gänge oder Bergwerksstollen in den Berg schlug, dessen Wachstum und körperliche Entwicklung war so beeinträchtigt, dass er nie richtig groß und aufrecht wuchs. Schon im Alter von zwanzig Jahren konnten diese Menschen nicht mehr gerade laufen, sondern nur noch gebückt, und sie waren kleinwüchsig durch die schwere Arbeit in unnatürlicher Körperhaltung mitten in ihrer Wachstumsphase. Hier liegt die Lösung des Rätsels über die vielen  Zwerge in alten Geschichten vom Alberich der Germanen und Nibelungen bis zu den Sieben Zwergen der Gebrüder Grimm. Die Menschen früher waren zwar kleiner als heute, aber der Kleinwuchs oder Minderwuchs der vielen Zwerge in den alten Geschichten, Legenden und Märchen war verursacht von Entwicklungsstörungen durch schwere körperliche Arbeit schon im Kindesalter bei oftmals minderwertiger und ungenügender Ernährung.
In der Rubrik Archäologie erschien im Spiegel 29/2011 unter der Überschrift  Irrgärten der Unterwelt ein Artikel über die unterirdischen Geheimgänge, deren Sinn niemand versteht. Obwohl es ähnliche Höhlensysteme weltweit gibt, häufen sie sich eindeutig in Bayern. Bei  www.kraftvolle-orte.de findet man Informationen über die Bauweise und Datierung, die Verbreitung mit Schwerpunkt in Niederbayern, mögliche Zweckbestimmungen und Sagen und Mythen über diese geheimnisvollen unterirdischen Anlagen. Auch in Foren, wie  allmystery.de wird über die Erdställe diskutiert. Dort fand ich auch weitere völkstümliche Bezeichnungen wie Zwergenloch, Erdweiblschlupf, Alraunhöhle, Hollerloch, Geisterhöhle, Frauenloch und Jungfrauenhöhle. Es gibt volkstümliche, wissenschaftliche, mystische und esoterische Erklärungsversuche. Vielleicht ist die Lösung eine Mischung aus den verschiedensten Motivationen. Ein Erdloch beim oder unter dem Haus ist doch ganz interessant, probieren Sie's aus!

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