Die beiden ersten Möglichkeiten scheiden bei den von uns besuchten Gängen
meiner Meinung nach aus. Zur Wasserableitung müssten die Gänge am tiefsten
Punkt der Keller beginnen, was hier nicht der Fall war,
und zur Wassersammlung wären hier die Lagerkeller voll Wasser gelaufen.
Keller beginnen meistens vom Eingang her einzustürzen, da dort durch den
Temperaturunterschied der Kälte im Winter und der Wärme im Sommer das Gestein
verwittert. Man konnte sicher beruhigter im Keller arbeiten, wenn man wusste,
noch einen Notausgang zu haben. Auch als Fluchtweg vor Feinden oder vor Feuer
machen die Verbindungsgänge zwischen den Kellern schon eher einen Sinn. Wenn
man sich vor Feinden oder anderen
Verfolgern in sie zurückzog, waren die kleinen und niedrigen Eingänge sicher
auch leichter zu verbergen oder zu verteidigen, da eventuelle Angreifer in den
engen Stollen ihre Waffen nur schlecht einsetzen konnten.
Immer wieder liest man, dass diese niedrigen Gänge auch kultischen Zwecken
dienten. In manchen Gegenden findet man sie nicht nur als kurze
Verbindungsgänge, sondern es wurden ganze
Labyrinthe
aus diesen Stollen gebaut.
Als Zufluchtsstätte vor Feinden wären die meisten untauglich gewesen, da sie
Sackgassen waren, also keinen zweiten Ausgang hatten. Ein Angreifer hätte die
Menschen in den Gängen leicht ausräuchern können.
Teilweise fand man auch in den Fels gehauene Sitzgelegenheiten, Nischen für
Lichter und noch engere Durchschlüpfe.
Nimmt man eine kultische Verwendung an, spielt es möglicherweise eine Rolle,
dass die niedrigen und engen Gänge zu einer gewissen Demutshaltung zwingen. Die
sauerstoffarme Luft und zusätzlich das behinderte Atmen im gebückten Gehen kann
auch zu einer Art Rauschzustand führen, in dem mancher vielleicht Erleuchtungen
erlebte. Zu allen Zeiten suchten Druiden, Schamenen
und Priester abgelegene und sonderbare Orte auf. Sogar Jesus ging für vierzig
Tage in die Wüste und traf dort nach
Markus, Kapitel 1, Vers 13
sogar den
Satan.
Möglicherweise dienten die Erdställe ohne zweiten Ausgang auch als Bußgefängnis
für Kriminelle oder für Menschen, die meinten, durch eine Buße im Finstern
Erlösung zu erlangen. Dass so mancher nach ein paar Stunden oder Tage in so
einem Loch ein besserer Mensch wurde, kann ich mir gut vorstellen.
Im Spielfilm
Rapa Nui, Rebellion im Paradies
wird eine Frau sechs Monde in eine Jungfrauenhöhle eingesperrt, weil sie sich
in einen Mann einer anderen Rasse verliebt hatte.
Die Bezeichnung
Schratgang
würde sie als die Wohnstätte von Hausgeistern, Erdgeistern und Kobolden
ausweisen. Ebenso wurde schon vermutet, dass sie eine Art Scheingräber oder
symbolische Gräber waren, in denen sich die Seelen der Verstorbenen bis zum
Jüngsten Gericht aufhalten konnten, sogenannte Seelenkammern.
Der Sinn vieler dieser geheimnisvollen unterirdischen Anlagen kann nur
vermutet werden, aber egal zu welchem Zweck, das Graben dieser Erdställe,
Schratzellöcher und Schratgänge war auch wegen der Enge sicher eine Tortur.
Selbst ein kurzes Laufen in den niedrigen Gängen, das meist nur im Entengang
möglich ist, führt dazu, dass einem die Beine wehtun.
In alten Sagen und Märchen wie Schneewittchen sind es deshalb immer
Zwerge,
die die Stollen in die Berge treiben. Aber so viele Zwerge gibt es doch gar
nicht! Die Lösung ist einfach: Das Graben dieser unterirdischen Gänge war oft
Kinderarbeit!
Und wer ab einem Alter von zehn Jahren unterirdische Gänge oder
Bergwerksstollen in den Berg schlug, dessen Wachstum und körperliche
Entwicklung war so beeinträchtigt, dass er nie richtig groß und aufrecht wuchs.
Schon im Alter von zwanzig Jahren konnten diese Menschen nicht mehr gerade
laufen, sondern nur noch gebückt, und sie waren kleinwüchsig durch die schwere
Arbeit in unnatürlicher Körperhaltung mitten in ihrer Wachstumsphase. Hier
liegt die Lösung des Rätsels über die vielen
Zwerge
in alten Geschichten vom
Alberich der Germanen und Nibelungen bis zu den Sieben Zwergen der Gebrüder
Grimm. Die Menschen früher waren zwar kleiner als heute, aber der Kleinwuchs
oder Minderwuchs der vielen Zwerge in den alten Geschichten, Legenden und
Märchen war verursacht von Entwicklungsstörungen durch schwere körperliche
Arbeit schon im Kindesalter bei oftmals minderwertiger und ungenügender
Ernährung.